Europakonzil Konstanz 2015 | BloggerfuerFluechtlinge

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Ich habe es schon einmal erwähnt: ich war mit meiner Cousine im Europakonzil. Kurze Vorgeschichte (Betonung auf KURZ): vor 600 Jahren wurde in Konstanz im Konzil über die Zukunft diskutiert, und im Rahmen dieser Jubiläumsfeier sollte jetzt eben eine Neuauflage des damaligen Konzils stattfinden: mit uns als Delegierte. Insgesamt waren wir 60 Jugendliche aus der Gegend Sigmaringen, aus dem Vorarlberg, aus dem Bodenseekreis, aus Konstanz, aus Liechtenstein, aus der Schweiz und aus der Gegend Wangen. Bereits in den letzten Wochenenden haben wir uns auf Vorkonferenzen in unserer Gegend auf die Zeit in Konstanz vorbereitet. Am Mittwoch war es dann so weit, wir haben uns in der Konstanzer Universität getroffen. Manche kannten wir schon von den Vorkonferenzen, andere haben wir noch nie gesehen, aber wir haben uns alle sehr schnell verstanden.

 

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Aussicht von der Konstanzer Universität aus

Das Spannende war, dass auch mehrere Flüchtlinge dabei waren. So unglaublich es sich angehört, wir saßen zwei Tage mit jemandem in einem Raum, der bei seiner einmonatigen Flucht fast alles verloren hat, was er jemals besaß. Für die Flüchtlinge gab es einen Dolmetscher, was bedeutet, dass ich in den letzten beiden Tagen seehr viel arabisch gehört habe (es klingt allerdings immer noch wie huiferh0rogfrrfeohci für mich  :-D)

An diesem ersten Tag in der Uni haben wir uns gegenseitig die Ergebnisse aus den Vorkonferenzen präsentiert und uns über unsere Meinungen ausgetauscht. So knüpften wir schnell Kontakte mit den Jugendlichen, die wir davor noch nicht kannten. Anschließend fanden wir uns in verschiedenen Gruppen zusammen, die Fragestellungen wie „Wie bekämpfen wir Fluchtursachen?“ oder „Wie gelingt die Integration?“ bearbeitet haben. Ich war in der Gruppe namens „Ängste, Unsicherheit, Vorurteile“, zusammen mit meiner Cousine, einem Jungen aus meinem Landkreis und ein paar Mädchen aus Deutschland und dem Vorarlberg (hab ich schon mal erwähnt wie sehr ich vorarlbergisch liebe? 😀 ) . Wir haben besprochen, was für uns „fremd“ bedeutet, und wie wir zu den Ängsten und Vorurteilen unserer Gesellschaft gegenüber Flüchtlinge stehen.

In der Kantine der Uni gab es dann Abendessen und najaaa was soll ich sagen…ich habe mich gleich wieder gefühlt wie in unserer Mensa 😀 (kann ja vielseitig interpretiert werden 😉 ) und danach stand etwas ganz besonderes an: Theatersport. Nein, wir mussten nicht joggen oder Gewichte heben , was (anbetracht der Menge an „Snacks“, die wir im Laufe des Tages verspeist hatten) eventuell aber gar nicht so schlecht gewesen wäre. Stattdessen zeigte uns Mario Müller, ein echte „Theatersportler“, wie wir die zuvor erarbeiteten Konzepte anschaulich darstellen konnten. Unsere Gruppe beispielsweise hat einen Sketch erarbeitet, bei dem wir alle in einem Kreis sitzen und dann eine fremdartige, andersaussehende Person (der einzige Junge in unserer Runde 😀 ) hinzu tritt. Zunächst wird er von uns weggestoßen und verspottet, doch nach einer Weile beginnt ein Mädchen, ihn genauer anzusehen, bis wir schließlich alle bei ihm stehen, ihn in unsere Runde aufnehmen und bemerken: Hey! Er ist genau wie wir!

Am meisten feiere ich aber immer noch den Sketch „Romeo und Julia“, den unsere Freunde aufgeführt haben. Dabei geht es um zwei Jugendliche, die sich lieben ( neein, wer hätte denn das gedacht?), deren Familien aber verschiedenen Kulturen und Nationalitäten angehören. Die Eltern sind gegen die Beziehung, „Yamina Fatschi“ hat sich umgebracht, und „Roland“ gleich mit. Es war sooo genial 😀

Nachdem wir uns gegenseitig unsere Beiträge vorgespielt haben, ging es mit dem Bus in die Konstanzer Jugendherberge, wo wir uns alle sofort ganz brav ins Bett verzogen haben…NICHT 😀 Also viel Schlaf habe ich in Konstanz nicht bekommen, aber das wird bekanntlich überbewertet, und wie heißt es so schön?

„Niemand schaut später auf sein Leben zurück und erinnert sich an die Nächte, in denen er viel geschlafen hat“

Entsprechend müde waren wir am Donnerstagmorgen, da wurde gleich mal kräftig die Kaffeekanne geleert 😀 Dann hieß es auch schon Auschecken aus der Jugendherberge und ab ging´s ins Konzil. Vor einem Jahr war ich mit meiner Familie auch einen Tag in Konstanz und damals hat mir mein Vater einen (selbstverständlich hochinteressanten) Vortrag über das Konzil gehalten, von daher kannte ich das Gebäude schon vom Sehen. Aber wer hätte gedacht, dass ich dort ein Jahr später hineinschreiten und dort diskutieren würde, als Delegierte des Europakonzils 2.0? Ich jedenfalls nicht 🙂 Im Konzil haben wir noch einmal in unseren Gruppen diskutiert ( ob über Flüchtlinge oder der Unterschied zwischen Weckla und Semmel sei jetzt mal dahingestellt) und nebenbei ungefähr eine Tonne Schokolade, Bananen und Gummibärchen vernichtet.

Ausflug an den See :-)
Ausflug an den See 🙂

Dann gab es auch schon Mittagessen (trügt mich das Gefühl oder hat das ganze Konzil eigentlich hauptsächlich aus Essen bestanden?) in Form von verschiedenen Suppen. So waren wir gewappnet, als gegen Mittag die erwachsenen Politiker eintrafen und unsere Flipcharts bewundern durften. Dabei entstanden viele Diskussionen und Gespräche, die wahrscheinlich noch ewig gedauert hätten, hätte es nicht noch andere Programmpunkte gegeben. Beispielsweise eine Bühnenprobe mit Mario Müller, bei der wir noch einmal alles für unseren großen Auftritt proben konnten. Danach war erst einmal Dramatik angesagt, weil die ersten Teilnehme abreisten, genauer gesagt stachen sie mit einem KATAMARAN in See. Praktischer Weise ging gerade die Sonne unter- sodass sowohl der Himmel als auch der See in allen Farben des Regenbogens schimmerten und die Szene malerisch dramatisierten. Haach, es war so romantisch! (Tipp an euch, solltet ihr jemandem von uns in nächster Zeit begegnen, sagt ja nicht das Wort KATAMARAN, esseiden ihr wollt unsere Lach- und Heulanfälle aushalten 😀 )

Ausblick auf den Konstanzer Hafen mit KATAMARAN-Anlegestelle :-D
Ausblick auf den Konstanzer Hafen mit KATAMARAN-Anlegestelle 😀

Weil wir ja alle sowieso so kriminell veranlagt sind, sind wir nach der Probe erstmal ausgerissen und haben das LAGO unsicher gemacht – wenn wir schon mal in Konstanz sind! Ich denke, die Leute in der Stadt waren etwas irritiert bei unserem Auftreten (was auch etwas mit den oben genannten Lach- und Heulanfällen zu tun haben könnte), aber es war trotzdem ein toller, illegaler Ausflug. H&M und Zara haben wir leider nicht besucht, dafür aber diverse Essensläden und- weil wir ja leider Jungs dabei haben- einen Gamershop. Meine Cousine und ich haben bei der Gelegenheit ein geniales Computerspiel erfunden, bei dem man einen Jungen kreiren kann, der realen Personen erschreckend ähnlich sieht, und den man dann mit allen möglichen Methoden quälen kann. Die perfekte Liebeskummer-Therapie, oder? 😀

Zurück in unserem zweiten Zuhause dem Konzil ging es dann los mit der Preisverleihung des ersten Konstanzer Konzilpreises. Nach einer Begrüßung des Konstanzer Oberbürgermeisters kam unser großer Auftritt. Obwohl wir wahrscheinlich mehr über Roland, den Hund und die Schweizer Schokolade gelacht haben als alle 450 geladenen Gäste zusammen war es ein voller Erfolg, und als wir am Ende alle zusammen auf der Bühne gestanden sind, habe ich richtig Gänsehaut bekommen. Die Delegierten des Europakonzils 2.0- das sind wir, und wir haben in der Hand, wie unsere Zukunft wird.

Europakonzil 2015- wir können alle mitentscheiden!
Europakonzil 2015- wir können alle mitentscheiden!

Den Konzilpreis hat ein schweizerischer Schriftsteller namens Milo Rau bekommen, der sich besonders für Europa einsetzt. Wenn ich so an unsere Konzil-Gruppe denke, fallen mir auf Anhieb 3 Leute ein, von denen ich mir total vorstellen könnte, dass sie in ein paar Jahren auch diesen Preis abräumen, oder im Europaparlament sitzen oder oder oder. Wir Jugendliche konnten den Reden leider nicht ganz so konzentriert folgen, weil in unserem Sitzblock zu dieser Zeit die große-Handynummer-Austausch-Phase ausgebrochen ist. Die Nummern von unserer Hauptclique (Landkreis Sigmaringen) hatte ich schon vor dem Konzil, aber es ist wirklich gut zu wissen, dass ich auch mit den anderen Jugendlichen in Kontakt bleiben kann, zum Beispiel den Vorarlbergern, mit denen wir uns wirklich gut verstanden haben, und die mir echt Leid tun, weil sie nämlich heute (Freitag) teils schon wieder zur Schule mussten.

Nach der Verleihung hieß es dann endgültig Abschied nehmen. Es war schrecklich, Leute zu umarmen, von denen man wusste, dass man sie wahrscheinlich nie wieder sehen wird. Auch der Abschied von den Flüchtlingen fiel uns sehr schwer, und ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich hoffe, dass sie hier bei uns eine gute, sichere Zukunft haben werden. Ich bin so dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich hatte auch davor kein schlechtes Bild von Flüchtlingen, aber jetzt hat es sich noch tausend Mal verbessert.

Am traurigsten war es wirklich, von unserer Sigmaringen-Gruppe Abschied zu nehmen. Ich meine klar, sie wohnen keine 20 Kilometer entfernt von uns, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns nochmal wiedersehen ist bei ihnen am allergrößten, aber sie waren es eben auch, mit denen wir die meiste Zeit verbracht haben. Obwohl wir uns noch nicht einmal eine Woche kennen, sind wir schon so etwas wie Freunde geworden, weil wir einfach alle gleich verrückt sind, und jetzt schon jede Menge Insider teilen können.

Ich kann wirklich sagen, dass die letzten beiden Tage für mich zu den besten des ganzen Jahres zählen. Wir haben alle unvergessliche Erfahrungen gemacht, und egal wie sehr wir uns in Nationalität, Religion, Kultur und Meinung auch unterscheiden: uns verbinden zwei unglaublich eindrucksvolle Tage in Konstanz und die Motivation und der Wunsch, die Zukunft besser zu machen.

Circa 60 Jugendliche, über fünf verschiedene Nationalitäten, aber ein Ziel: eine gelingende Europapolitik.
Circa 60 Jugendliche, über fünf verschiedene Nationalitäten, aber ein Ziel: eine gelingende Europapolitik.

Und vielleicht gibt es sogar eine Wiederholung, denn im Februar werden 10 Abgeordnete des Europakonzils in Straßburg mit dem Präsidenten des Europaparlamentes reden, und wenn alles gut läuft, dann werden wir alle mitfahren -egal ob wir Abgeordnete werden oder nicht. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass ich mir im Moment nichts mehr wünsche als dass diese Fahrt nach Frankreich wirklich klappt, aber ganz egal, wie es weitergeht, was wir erlebt haben kann uns niemand mehr nehmen, und ich bin mir sicher, dass ich noch sehr lange profitieren kann von dem, was ich innerhalb von nur zwei Tagen gelernt habe. Wir dürfen nie vergessen, dass es immer eine Möglichkeit gibt, die Zukunft zu verbessern. Wir alle tragen dazu bei, egal ob wir Yamina heißen oder Roland oder Siegfried, und es kann nur funktionieren, wenn wir wirklich alle mithelfen.

An dieser Stelle noch einmal Danke Danke Danke an alle, die das Europakonzil 2015 möglich gemacht haben, an die Sponsoren und Betreuer, an die Internationale Bodenseekonferenz und an euch alle- die beste Europakonzilgruppe der Welt 🙂

Hier noch ein Link zu einem Artikel, der das Europakonzil 2015 zusammenfasst: http://www.konstanz.de/rathaus/medienportal/mitteilungen/08542/index.html

Tija, das war das Konzil, und jetzt bleibt mir nur noch eins zu sagen:

KATAMARAN 😀

Liebe Grüße an euch alle da draußen 😛

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.