Dancing on my own- Dinge alleine tun

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Etwas alleine zu tun- das ist mir immer schwer gefallen.

Einen Monat nachdem ich geboren wurde, kam meine Cousine zur Welt. Seit dem war ich nie mehr alleine. Gleiche Familie, gleiche Hobbys und ab der fünften Klasse auch die gleiche Schule und Klasse. An was ich auch zurück denke, sie war immer dabei. Urlaub, Ausflüge, Klassenfahrten, Feste, wir waren immer zusammen. Klar, es gab immer wieder Streit und es war längst nicht alles einfach, aber wenn es darauf ankommt, war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir füreinander da sind.

Wie wertvoll so etwas ist, ist mir mehr als einmal klar geworden. Sich nie alleine fühlen zu müssen ist ein Geschenk, von dem ich noch nicht weiß, wie ich es verdient habe. Ich denke, es macht einen Menschen auch immer stärker, zu wissen, dass jemand hinter, vor oder direkt neben einem steht. Dazu muss man keine Cousine haben- beste Freunde tun genau das Gleiche. Ich glaube nicht, dass man ohne sowas überleben kann. Jeder Mensch braucht doch jemanden, der da ist, wenn alles andere verschwunden ist. Die einen finden diesen Einen früher, die anderen später. Aber es gibt ihn. Für jeden auf der Welt.

Trotzdem gibt es da etwas, das sollte jeder mindestens einmal erfahren: eine Sache ganz alleine machen. Das kann ungefähr alles sein. Und bei den kleinen Dingen, die so selbstverständlich klingen, fängt es an. Sind wir Mädels doch mal ehrlich: wer geht in der Schule schon gerne alleine aufs Klo oder zum Trinkwasserautomat? Und meiner Erfahrung nach geht es Jungs da auch nicht viel anders, ich könnte jedenfalls gleichmal zehn Leute aufzählen, die man bei uns nie alleine zum Klo laufen sieht.

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Jenseits vom Aufs-Klo-gehen gibt es die kleinen und großen Abenteuer, die nur dann welche sind, wenn wir sie ganz für uns selbst erleben.

Als ich 14 Jahre alt war, habe ich bei einem Schreibwettbewerb der Literaturwerkstatt Graz mitgemacht. Erst Anfang 2015 habe ich erfahren, dass meine Teilnahme erfolgreich war. Von 297 Einsendungen zählte meine zu den besten 20, und ich war wahnsinnig stolz. Aufgrund meines Erfolgs war ich eingeladen, an einer einwöchigen Schreibwerkstatt im Steirischen Leibnitz nahe Graz teilzunehmen. Eine Woche lang mit anderen schreibenden Jugendlichen, literaturerfahrenen Betreuern in einem Schloss verbringen und neue Geschichten zu schreiben- für mich ein echter Traum.

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Das Problem nur: ich würde alleine hinfahren. Ohne meine Cousine, ohne meine Freundinnen, ohne dass ich da irgendjemanden kenne. Ich habe lange gezweifelt, hin und her überlegt und schließlich zugesagt, mit dem dumpfen Gefühl, es noch früh genug zu bereuen. Und natürlich war ich kurz vor der Abfahrt kurz davor, für die nächsten 8 Tage in meinem Kleiderschrank unterzutauchen, nur um nicht fahren zu müssen.

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Aber vielleicht kennt ihr das ja auch, weil es vielleicht ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass eine Reise immer erst dann beginnt, richtig Spaß zu machen, wenn es kein Zurück mehr gibt. Ab dem Moment in dem ich mich im Zug von Ulm nach Graz befunden habe, waren alle Zweifel wie weggeblasen. Plötzlich war da nur Freiheit in mir, die Freiheit an jeden Ort der Welt zu gelangen, wenn ich es nur möchte. Der Mensch ist nicht dazu geschaffen,a n einem Ort zu bleiben, sonst hätte Gott die Erde nicht so groß gemacht. Unter mir rasten Bahnschienen dahin, Meter, Städte, Kilometer, die mich wohin brachten, wo ich noch nie war, und wohin ich nach dieser Woche nicht mehr zurückkehren würde. Das war Freiheit, wie ich sie noch nie davor erlebt hatte.

Auf dieser Reise habe ich so unglaublich viele wunderbare Menschen kennengelernt. Ich glaube, ich könnte ewig davon erzählen. Von der jungen englischen Frau, mit der ich wenige Sekunden vor unserer Ankunft in Graz, nach 8 Stunden Fahrt, von unseren Zielen geredet habe. Ich sehe sie immer noch vor mir, wie sie lachend auf ihren Freund zu läuft, den sie nur ein Mal im Monat sieht und der in Graz  mit Blumen auf sie gewartet hat.

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Oder von dem Mann, der jeden Tag die Strecke zwischen St. Michael und Leoben fährt, und sich gefreut hat, sich mit mir zu unterhalten. Von einer Bahnhofsbäckerin, die uns an dem heißesten Tag, den Graz vermutlich je erlebt hat, extra ein eisgekühltes Wasser geholt hat.

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Und natürlich von meiner wunderbaren Schreibzeit-Gruppe, die mich vom ersten Moment an aufgenommen hat. Zusammen haben wir Musik gehört, geschrieben, diskutiert und gelacht. Es waren so viele unterschiedliche Meinungen, wir kamen aus drei Ländern und hatten zig verschiedene Dialekte, aber die Leidenschaft zum Schreiben hat uns alle verbunden. Ich habe jetzt Freunde in Wien, Leoben, Bern, Bad Salzuflen und und und. Ich habe Erinnerungen an Nächte, in denen wir aus dem Schloss gerannt sind und uns unter dem Sternenhimmel wie verrückt gedreht haben, kaum dass wir 14, 15, 16 und 17 waren. Das Schönste war, als wir die letzte Nacht durchgemacht und morgens den Sonnenaufgang auf den Feldern gesehen haben.

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Nach einer Woche bin ich die selbe Strecke mit dem Zug wieder nach Hause gefahren, nur diesmal mit zwei Mädels, die teils den selben Weg hatten, und die ich jetzt richtig gut kannte. Nur ganz am Ende war ich wieder alleine, und ich habe mich noch nie so stolz, stark und glücklich gefühlt. Ich habe etwas gemacht, vor dem ich wahnsinnige Angst hatte. Alleine in einen Zug gestiegen, der 8 Stunden ins Ausland gefahren ist, kein Zurück für sieben Tage. Und so viel hat es mir gebracht, ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben. Und ich würde es gerne tun, damit ich es aufklappen und lesen kann, wenn ich die Zeit in Österreich wieder mal vermisse.

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Wenn man etwas alleine machen kann, hat man viel mehr Freiheit als davor. Man fühlt sich selbstständiger und selbstsicherer, und irgendwie wappnet einen das auch für andere Sachen. Zum Beispiel hatte ich gestern das erste Mal Training in der großen Garde. Ich bin von meinen Freundinnen in der mittleren Garde die einzige, die hochgekommen ist (altersbedingt) und irgendwie hatte ich davor megaa Angst, alleine in diese neue Gruppe zu kommen. Umso froher war ich, dass ich mir sagen konnte: als ob du nicht zwei Stunden in der Woche Gardetraining schaffst, wenn du eine ganze Woche alleine weg warst. Und zack war die Angst weg, und natürlich war sie auch vollkommen unbegründet, weil mich die anderen Mädels auf wundersame Weise nicht gefressen haben 😉

Wenn ihr die Möglichkeit habt, etwas zu machen, ganz egal ob Reise, Schüleraustausch oder Hobby, dann macht es. Auch alleine. Es gibt überall Menschen, die sich freuen, euch kennenzulernen. Macht den ersten Schritt, geht in alles mit einem Lächeln und vergesst nie, dass ihr im schlimmsten Fall immer noch euch selbst habt.

Alles, was mir heute am wichtigsten ist, hat mir am Anfang Angst gemacht: Schreiben in Österreich, Garde tanzen, die SMV, und das Zeltlager, das zu meiner zweiten Familie geworden ist, und das in fünf Wochen endlich wieder losgeht. Nicht zu vergessen das Europakonzil, bei dem war meine Cousine zwar dabei, aber wir haben trotzdem soo viele tolle Leute kennengelernt. Und wenn irgendjemand von euch das gerade liest, egal ob Schreibzeit, Zeltlager oder Europakonzil- ich vermisse euch! Wie verrückt!

Am Ende eines Lebens bereut man nie die Dinge, die man getan hat,

sondern immer nur die, die man nicht getan hat!

Eine Auswahl der Geschichten, die ich in Österreich geschrieben habe, findet ihr hier und hier und hier.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.