Europakonzil Straßburg 2016 | BloggerfuerFluechtlinge

Kategorien Weltgeschehen

Kaum zu glauben, aber das Ereignis, über das ich heute endlich berichte, ist jetzt auch schon wieder eineinhalb Wochen her. Auf der einen Seite denke ich, es war gestern, auf der anderen Seite kommt es vor mir, als wären Jahre vergangen. Abr vihr noch überhaupt keine Ahnung habt, hier ein Link zu meinem ersten Blogbeitrag über das Europakonzil in Konstanz: http://tabitha-anna.de/424-2

Weitere, etwas detailliertere Infos über das Europakonzil findet ihr auf der folgenden Homepage: http://www.bodenseekonferenz.org/europakonzil

Nachdem wir uns in Konstanz auf viele viele Punkte geeinigt haben, die in der Flüchtlingspolitik definitiv anders laufen müssen, und auch Ideen entwickelt haben, wie wir alle zu einer besseren Integration beitragen können, kam Mitte Dezember die offizielle Einladung zu einer Studienfahrt nach Straßburg. Diese sollte aber nicht einfach eine normale Studienreise sein, denn wir hatten schließlich eine Botschaft, die wir überbringen wollten: unsere in Konstanz aufgestellten Forderungen. Deswegen wussten wir von vorne herein, dass der Besuch im Europaparlament für uns mit einer wichtigen Aufgabe verbunden war. Ansonsten starteten meine Cousine und ich  offen für alles in diese Reise. Vor allem auch weil wir uns schon darauf verlassen konnten, dass es mit einer solchen Gruppe an Leuten nur gut werden konnte. Leider konnten viele von unserer Gruppe, die in Konstanz dabei waren, nach Straßburg aus Zeitgründen nicht mitfahren.

Am Montagmorgen den 01. Februar starteten meine Cousine und ich völlig ausgeschlafen und motiviert (nicht) in den Tag. Die Reise begann am Sigmaringer Landratsamt, mit dem Wiedersehen unserer Landkreis- Gruppe (ja, man kann leider im gleichen Landkreis wohnen und sich trotzdem drei Monate nicht sehen) und dem Eintreffen eines Großraumtaxis. Irgendwie habe ich die Reiseroute zu dem Zeitpunkt noch nicht so ganz gecheckt, aber ich musste ja zum Glück erstmal nur einsteigen und ab ging die Fahrt. Wir hatten uns alle viel zu erzählen und die Zeit begann bereits, rasend schnell zu vergehen. Irritation kam erst auf, als wir in Geisingen (Landkreis Tuttlingen) einfach mal rausgeschmissen wurden und mit Koffern und Taschen beladen an einer Tankstelle standen. Ich würde mal sagen läääuft 🙂

Unser Gruppenbetreuer blieb aber optimistisch und – siehe da- kurz darauf tauchte ein Schweizer Reisebus auf, der genau ein Ziel hatte: uns. Der Moment, in dem wir den Bus betreten haben, in dem bereits alle anderen Teilnehmer saßen, war wirklich unvergesslich für mich. Das klingt vielleicht verrückt, weil wir uns praktisch erst genau so lange kennen wie wir uns nicht mehr gesehen haben, aber wir waren in Konstanz einfach von der ersten Minute an auf der gleichen Spur, hatten die selben Gedanken, den selben Humor und die selben politischen Ansichten. So etwas verbindet unglaublich, und dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob man in Vorarlberg oder Zürich oder Friedrichshafen oder Sigmaringen lebt. In unserem Bus herrschte also entsprechend Hochstimmung, die auch nicht abbrach, als wir plötzlich in einer Schlucht waren, und sämtliche Leute keinen Handyempfang mehr hatten. Nach etwa einer Stunde erreichten wir unser erstes Ziel: die Raststätte vom Euroapark Rust. Da gab´s erst mal Essen und ich wurde erst mal gehatet, weil ich die supertolle Idee hatte, meine Reise zu filmen. Merkt euch eins: Food porn kommt nicht immer gut an… 😀

Essen Europapark

Nach dem Essen ging es wieder in den Bus und nach stundenlangem Gekurve durch irgendwelche Täler und Berge erreichten wir die Bedarfsaufnahmestelle Sasbachswalden. Die liegt auf einem Berg ganz oben, ohne Witz, ich dachte wirklich, wir würden niemals ankommen 😀 Eine Bedarfsaufnahmestelle ist für Flüchtlinge die allererste Station in Deutschland, hier leben sie so lange, bis sie erfasst und auf die Landeserstaufnahmestellen beziehungsweise Gemeinschaftsunterkünfte verteilt werden. Die Aufenthaltszeit beträgt zwischen drei Wochen und vier Monate. Die BEA Sasbachswalden ist in einem ehemaligen Hotel, dem „Bel Air Hotel Sasbachswalden“ untergebracht und verfügt über 400 Plätze. Betrieben wird das Ganze von der Firma „Unicare“.

Bisher war ich wie bereits erwähnt schon in der Landeserstaufnahmestelle in Sigmaringen und in einer Gemeinschaftsunterkunft in Gammertingen, von daher wusste ich ungefähr, was mich erwartet, aber es war trotzdem sehr aufregend. Ganz am Anfang des Grundstückes der BEA Sasbachswalden steht ein Containerhäuschen, in dem die Sicherheitskräfte sitzen. Unser schweizerischer Reiseleiter erklärte ihnen (so h0chdeutsch wie möglich), wer wir sind und was wir hier machen, und erst dann durften wir passieren. Bereits auf der Einfahrt zum Hotel begegneten uns die ersten Flüchtlinge, vorwiegend Kinder, die neugierig auf uns zu liefen. Das war das erste, was mir aufgefallen ist: die Aufgeschlossenheit. Und das hat mich irgendwie traurig gemacht, weil ich daran denken musste, dass diese Kinder auf jeden so neugierig zu gehen würden, selbst wenn es ein Nazi wäre, der sich nichts mehr wünscht, als dass diese Leute abgeschoben oder am besten gleich an der Grenze mit Schüssen verjagt werden. Diese Kinder unterscheiden nicht zwischen Schlecht und Gut, zwischen Fremd und Bekannt und zwischen Nazi und Gutmensch. Sie freuen sich über jeden, der zu ihnen kommt.

In der Eingangshalle der BEA wurden wir von einer Unicare-Mitarbeiterin begrüßt und ein bisschen über den Alltag hier informiert. Auch eine Hausführung durfte nicht fehlen. Vom Speisesaal bis zum Waschzimmer, der Kleiderkammer, dem „Schulzimmer“ und einem Bastellager durften wir uns alles ansehen. Dabei wurde uns deutlich, wie aufwändig und anstrengend die Arbeit in einer Flüchtlingsunterkunft sein muss. Nach der Führung begannen die Workshops, die wir bereits im Vorfeld auswählen durften. Waffeln backen, Musik machen, Tischtennis spielen, Kunst – alles war dabei. Ich für meinen Teil war sehr froh, mich für das Basteln im provisorischen Kindergarten entschieden zu haben, vor allem als ich gesehen habe, wie unsere armen Freunde von den Flüchtlingskindern beim Tischtennis abgezockt wurden hehehe 🙂

Frosch

Im Kindergarten bastelten wir passend zur Fasnetszeit Masken aus Tonpapier. Dabei waren etwa sieben Kinder, die bis auf wenige Ausnahmen der deutschen Sprache kaum mächtig waren. Die Verständigung klappte trotzdem – mit Händen, Füßen und Stofftieren, wenn es darum ging, welche Tiermaske gebastelt werden sollte. Ich finde es toll, wie sich die Mitarbeiter/innen hier zu helfen wissen, wie kreativ sie sind, und wie sie auch versuchen, den Flüchtlingen unsere Kultur näher zu bringen. Nur so kann Integration gelingen. Die Frau, die mit uns gebastelt hat, ist eine Ehrenamtliche, die mehrere Tage in der Woche opfert, um den Kindern den Alltag und das Warten in der BEA zu erleichtern.

Die Zeit mit den Kindern war sehr intensiv - und viel zu schnell vorbei!
Die Zeit mit den Kindern war sehr intensiv – und viel zu schnell vorbei!

Am Ende des Mittags gab es Waffeln, die die Backgruppe gezaubert hat, viele Fotos und Verabschiedungen. Höhepunkt war der Tanz, den ein etwa 15-jähriger Flüchtling aufgeführt hat. Die Musik war traditionell arabisch (oder so) und die Bewegungen, die er gemacht hat, habe ich zuvor noch nie gesehen, aber es sah richtig gut aus, und es gab viel Applaus. Mir ist natürlich klar, dass die  Stimmung auch in Sasbachswalden wahrscheinlich nicht immer so gut ist, wie sie an diesem Mittag war, aber auf der anderen Seite hat die Unicare-Mitarbeiterin, die uns das Haus gezeigt hat, auch erwähnt, dass es bisher nie größere Streiterein gab. Trotzdem sind auf dem ganzen Gelände natürlich Security-Mitarbeiter unterwegs, die aber auch gerne mal leckere Zitronen-Kirsch-Getränke verteilt und Witze mit uns gemacht haben.

Bild Flüchtling

Sasbachswalden wird mir wirklich positiv in Erinnerung bleiben. Hier wird sehr viel gemacht, auch von Seiten der Bevölkerung. Viele Flüchtlinge haben es hier besser als an den Orten, an die sie nach ihrer Zuteilung kommen. Das leerstehende Hotel eignet sich als Flüchtlingsheim einfach perfekt, und ich hatte wirklich den Eindruck, dass sich die Menschen hier wohlfühlen. Einziger Schwachpunkt ist die Lage ( wie schon erwähnt: mitten auf dem Berg), aber auch hier wurde mit einer Extra-Buslinie zwei bis drei Mal am Tag Abhilfe geschaffen.

Allen Flüchtlingen, die ich an diesem Tag kennenlernen durfte, wünsche ich, dass ihre Zukunft, der sie so hoffnungsvoll entgegen sehen, gut sein wird, dass sie auf Menschen treffen, die sie annehmen, und dass sie es schaffen, hier ein neues Leben anzufangen. Vor allem hoffe ich, dass die Kinder , die so schnell erwachsen werden mussten, hier ein Stück ihrer Unbeschwertheit zurück bekommen. Wir dürfen nie vergessen, dass sie in ihrem kurzen Leben vielleicht schon mehr Schlimmes mitmachen mussten, als wir, wenn wir alt und grau sind. Dass sie trotzdem noch so lachen und fröhlich sein können, ist mit Respekt zu beachten und man sollte alles tun, dass es so bleibt.

Die Eindrücke in der BEA haben uns alle sehr nachdenklich gestimmt, so gab es auf dem Weg nach Kehl genug Gesprächsthemen. Auf dieser Fahrt haben wir vor allem eines gelernt: nein, über die Fußgängerbrücke nach Straßburg kann man nicht mit dem Bus fahren 😀

In der Jugendherberge ( http://kehl.jugendherberge-bw.de/de-DE/Portraet) gab es erst mal Abendessen, wo ich meine Food porn- Reihe weitergeführt habe, und der Hating Part weiter ging 😀

Nach dem Zimmerbezug ging es an die Arbeit: in Gruppen eingeteilt versuchten wir,unsere in Konstanz gefassten Erkenntnisse und Forderungen in wenige, klare Sätze zu bündeln, die dennoch aussagekräftig sind. Dieses Verfahren Plus Festlegen der Reihenfolge im Gespräch dauerte viel länger, als ursprünglich angenommen. Um elf saßen wir immer noch an den Tischen und planten. Dass die Hochstimmung trotzdem nicht abriss, haben wir vermutlich unserem Reiseleiter zu verdanken , der immer mal wieder mit einem neuen „Chästli  Bier “ daher kam.

Du weißt, du bist auf einer guten Studienreise, wenn Apfelschorle, Cola und Co kosten, und es die alkoholhaltigen Getränke gratis gibt 😊

Dann -irgendwann- war es endlich ggeschafft. Unser Programm für das Europaparlament stand, und auch die Delegation, die es vor Dr. Martin Schulz vortragen durfte, war eingeteilt. Meine Cousine und ich hatten das große Glück, dazu zu gehören, auch wenn ich mir bis heute nicht erklären kann, woran das liegt. An unserem politischen Verstand jedenfalls nicht…😊 (Zur Erinnerung: unser erster Grund, nach Konstanz mitzufahren war die kostenlose Nacht in der Jugendherberge)

Das gemütliche Beisammensein kam dann auch nicht zu kurz, zumal um 12 Uhr ein Mädchen aus unserem Zimmer Geburtstag hatte. Als es soweit war, sang fast die ganze Konzilgruppe für sie, das war total süß und hat fast an eine riesengroße Familie erinnert (ok, definitiv genug Kitsch jetzt).

An diesem Abend entstanden übrigens auch noch interessante Theorien. Habt ihr jemals darüber nachgedacht , dass man laut dem Gesetz von Darwin (=Der Stärkere überlebt) beim Saufen schlauer wird? Schließlich sterben nur die schlechten Gehirnzellen ab- was bleibt sind die richtig guten 😛 Nachdem uns das klar geworden ist, die Chästlis alle leer waren und auch der Geist der Jugendherberge ausreichend gejagt worden war, landeten wir schließlich im Bett, jeder brav in seinem eigenen, was im Vergleich zu Konstanz schon mal ein großer Fortschritt war😊

Der zweite Tag des Europakonzils begann dezent zu früh und mit einer Krise sämtlicher weiblicher Teilnehmer: KEIN Glätteisen im Haus. Irgendwie hat sich jede (inklusive mir) darauf eingestellt, dass schon irgendjemand eins dabei haben würde. Das Ende der Geschichte ist: alle haben das Gleiche gedacht. In unserer Verzweiflung haben wir sogar noch unsere männliche Hälfte gefragt (man weiß ja nie…) aber die haben uns leider nur liebevoll den Vogel gezeigt 🐦

Also ging’s mit lockigen Haaren ab zum Frühstück (und klar hab ich auch das wieder ausreichend geshootet) und dann – schon mit gepackten Koffern- in den Reisebus. Zur Freude meiner geographiebegeisterten Cousine fuhren wir tatsächlich über eine Brücke nach Frankreich, allerdings DEFINITIV NICHT über die Fußgängerbrücke 😀

Spannend war auf jeden Fall die Grenzkontrolle, die nach der Brücke auf uns wartete. Der Bus hielt am Straßenrand und zwei Polizeibeamte stiegen zu, um jeden einzelnen von uns mit Personalausweis unter die Lupe zu nehmen. Geachtet wurde vor allem auf die Staatsangehörigkeit. Natürlich hing das mit den Terroranschlägen in Paris zusammen. Man darf nicht vergessen, dass sich Frankreich immer noch im Ausnahmezustand befindet, und das wurde uns an diesem Tag mehrmals deutlich. Auf der einen Seite hat es sich gut angefühlt , dass durch die Kontrollen alles so sicher wie möglich war, aber auf der anderen Seite ist es auch einfach traurig, dass so etwas jetzt nötig ist, und beängstigend, sich vorzustellen, was ohne die Sicherheitsvorkehrungen passieren könnte.

Glücklicherweise durften wir alle einreisen (😅), und als uns der Reisebus in der Innenstadt ausspuckte, waren wir alle gut gelaunt. Natürlich verhielten wir uns in der Europametropole wie richtig professionelle Studienreisende und kein bisschen wie die Bauern vom Feld, die zum ersten Mal eine Ampel sehen. Erst mal liefen wir über die Brücke , auf der früher mal Menschen hingerichtet wurden (oohhh, wie schön), dann passierten wir ungefähr 586288 Straßen mit dem Namen St.Nicola, bis wir schließlich vor dem Straßburger Münster standen. Anstatt seine Schönheit zu bewundern, bemängelten wir erst mal wieder, wieso um Himmels Willen am 02, Februar noch die Weihnachtsbeleuchtung in den Straßen hing (geht ja mal echt gar nicht…)

Dann tauchte wie aus dem Nichts unsere Stadtführerin auf, die uns zu unserer aller Freude auf französisch begrüßte (whaat wieso französisch sind wir in Frankreich oder waas?). Ich hatte eigentlich nicht wirklich was dagegen – DELF B1 und Franz vierstündig ich komme- aber andere protestierten und -Quelle Surprise- die gute Dame konnte auch deutsch.

In den nächsten eineinhalb Stunden erfuhren wir eine Menge interessante Dinge, zum  Beispiel das mit der Brücke, oder was für eine Hammerstimmung damals im Gerberviertel geherrscht hatte. Die Stadtführerin beendete ungefähr jeden Zwischenstopp mit der Ankündigung: „Alors, maintenant nous allons à la petite France „, aber was dieses ominöse kleine Frankreich im Endeffekt war, habe ich irgendwie verpasst- zut!

Ein Höhepunkt für uns war, als wir an einer französischen Grundschule vorbei liefen. Wir staunten, dass die Schulen ja tatsächlich so waren, wie man es uns im Franzunterricht immer erzählt hatte, mit Zaun und allem drum und dran. Die armen Kinder hatten gerade Pause und fühlten sich vermutlich wie Zootiere, so interessiert wie wir an den Gitterstäben hingen😂

Nach all diesen Erkenntnissen verabschiedete sich die Stadtführerin von uns, und wir ließen uns vom Bus wieder einsammeln. Die Innenstadt von Straßburg ist wirklich wunderschön, nur ich denke dass es in den eineinhalb Stunden Führung und mit einer so witzigen Gruppe einfach nicht möglich war, sich auf die Architektur oder den Flair oder so was zu konzentrieren. Dafür waren wir einfach viel zu gut drauf 😂

Unsere nächste Station war der Europarat, ein imposantes Gebäude, das von innen witziger Weise genau den gleichen Stil aufweist, wie unsere örtliche Turnhalle (wirklich! Das war die gleiche Bauepoche!)

Im Plenarsaal gab es die nächste (ziemlich kurze) Führung, bevor wir dann in einem Sitzungssaal zwei Zuständigen des Europarats unsere Forderungen präsentierten. Dieser Programmpunkt war praktisch die Generalprobe für den Mittag im Europaparlament. Die Zuständigen nahmen sich viel Zeit für uns, erklärten viel und hörten zu. Außerdem hatten sie einen wunderschönen Wiener-Akzent, ich hätte noch Stunden zuhören können 😍 Um eins ging’s aber ab zum Mittagessen in eine Art Cafeteria , wo jeder ein Lunchpaket bekam. Ich war erst mal panisch, weil ich nix Vegetarisches fand, bis Benito der Retter kam und mit mir getauscht hat. Ganz so der Brecher war das Essen trotzdem nicht, aber ich hab natürlich trotzdem fleißig gefilmt😉 Zum Glück stand in der Cafeteria auch noch ein Snackautomat, und wenn man nicht wie ich zu dumm zum Bedienen ist, funktionierte der auch echt gut.

Nach dem Mittagessen traten wir den Fußweg zum Europaparlament an, und davon hat Benito ein paar echt gute Bilder gemacht.

IMG-20160204-WA0035
Kaum zu glauben aber wahr: in diesem winzigen Verschlag wohnt jemand.

DSCN0677[1] IMG-20160204-WA0031IMG-20160204-WA0036

Im Europaparlament angekommen begann erstmal wieder der Security-Marathon. Zu meinem Schrecken entdeckte ich a) ein Feuerzeug-Verbotsschild und b) ein Feuerzeug, das seit der Sternsingeraktion in meiner Jackentasche weilte. Daraufhin dachten natürlich alle erstmal, ich wäre Kettenraucher, und in meiner Verzweiflung legte ich das gute Stück einfach SEHR UNAUFFÄLLIG auf ein Fensterbrett im Sicherheitsraum. Da liegt es wohl bis heute 😊

Irgendwie ging dann alles ziemlich schnell, wir 10 (=die Schulzgruppe) wurden von einer Hausführerin oder so was mitgenommen. Die Hausführerin sagte, dass sie seit 4 Jahren im Europaparlament arbeitete, aber noch nie so nah am Präsidenten war wie wir es heute sein würden. Was unsere Aufregung jetzt auch nicht unbedingt drosselte, aber gut. Wir warteten und redeten, dann kamen zwei Männer im Anzug, die uns auf französisch durch gefühlt das halbe Gebäude dirigierten. Sie schleusten uns in irgendeinen Aufzug, den man garantiert nur findet, wenn man sich im Europaparlament richtig gut auskennt , und dann ging’s ruckzuck nach oben. Ganz nach oben.

Hätte mir beim Vor- Treffen des allerersten Konzils, im Rathaus in Meckenbeuren, jemand gesagt, dass ich nur 3 Monate später auf der Präsidentenebene des Europaparlaments landen würde, ich hätte ihm den Vogel gezeigt!

Oben angekommen führten uns unsere beiden Begleiter zu einer kleinen Sitzgruppe im Flur, wo wir Platz nahmen und uns mit Leuten unterhielten, die ebenfalls im Flur standen (wieso auch immer). Die Aufregung war jetzt richtig greifbar, ich glaube nicht, dass ich in meinem ganzen Leben schon mal so nervös war, und das trotz meiner krassen Karriere als Musical-AG-Teilnehmerin und Theater-AG- Star in der Grundschule.

Und dann kam plötzlich ein Mann im Anzug den Gang entlang und steuerte mit einem Lächeln auf uns zu. „Ist er das?“ zischte mir meine Cousine von links zu. „Er ist es.“ antwortete ich nur, und dann standen wir auf und gaben ihm alle die Hand. Die französischen Begleiter zückten ihre Kameras, was wohl das internationale Zeichen für „Wir machen jetzt ein Foto“ war. Also posierten wir alle für ein Gruppenbild, und ich stand sogar direkt neben Dr. Martin Schulz.

Processed with VSCO with t1 preset
Ich denke, man konnte mir die Anspannung ziemlich anmerken, aber wen wundert das schon?! 😉

Nach diesem wirklich herausragend schönen Gruppenfoto wurden wir in ein Besprechungszimmer geführt, wo wir an einem großen Tisch Platz nahmen und loslegen konnten. Das heißt- erst einmal legte Herr Dr. Martin Schulz los – mit einer Begrüßung, bei der wir uns wirklich alle sehr angesprochen gefühlt haben. Allgemein fiel uns seine ruhige, gefasste und aufmerksame Art positiv auf. Dank der lockeren Atmosphäre fiel es uns nicht schwer, unsere vorbereiteten Aspekte in das Gespräch zu bringen, und ehe wir uns versahen, waren wir mittendrin, in einer Diskussion über Europas größtes Problem. Besonders der Punkt mit der Bekämpfung der Fluchtursachen wurde heftig disskutiert, Herr Dr. Martin Schulz hat uns klar gemacht, wie komplex und ausgedehnt die Kriegssituation wirklich ist.

„Wir sind ein Zusammenschluss von Staaten mit unterschiedlichen Verfassungen. Hier wird die Anerkennung der Individualität und der Grundrechte in Frage gestellt. Das ist dramatisch.“  -Dr. Martin Schulz

Obwohl er selbstverständlich sehr viel mehr Ahnung von Europa haben muss als wir alle zusammen, hatten wir zu keiner Zeit das Gefühl, von oben weg betrachtet worden zu sein. In dieser halben Stunde waren wir auf der Augenhöhe mit dem Präsident des Europaparlaments, unsere Forderungen wurden ernst genommen und von ihm durch die Reihe weg unterstrichen. Außerdem hat er uns, oder zumindest mir, mit einer Äußerung die Augen geöffnet, was den Umgang mit Andersdenkenden in der Flüchtlingskrise angeht:

„Du wirst keinen Hardcore-Nazi in ein Flüchtlingsheim kriegen, aber um den müssen wir uns auch nicht kümmern. Zumindest nicht auf diese Weise.“ – Dr. Martin Schulz

Zusammen erarbeiteten wir verschiedene Managementfaktoren, die dazu beitragen, dass die Verteilung und die Integration in der Flüchtlingskrise gelingt. Kurz ging es auch um die Menschenrechte, um die Todesstrafe und wie man sie am besten verhindert. Am Ende kam Herr Dr. Martin Schulz zu folgendem Fazit:

„Wir haben eine Krise, die keine wäre, wenn sich alle beteiligen würden. Wir müssen kämpfen!“ -Dr. Martin Schulz

Bevor der Präsident zu seinem nächsten Termin eilen musste (Zitat: „Ich bin ein fremdgesteuerter Mann!“) kam noch mein großer Auftritt, und der hat absurder Weise mit einem Glas Honig zu tun. Bevor wir nach Straßburg aufgebrochen sind hat sich unser Reiseleiter Gedanken darüber gemacht, was man den ganzen Leuten dort, die uns dieses Programm ermöglichen, als Präsent mitgeben könnte. Dann kam er auf die Idee, ihnen ein Glas Schweizer Honig zu schenken, mit dem Hintergedanken, dass Bienen keine Grenzen kennen und in ihrem Volk gemeinschaftlich am Errichten ihres Bienenstockes arbeiten.

Ich hätte das Ganze vermutlich toller gefunden, wenn die Aufgabe, das Honigglas an Dr. Martin Schulz zu übergeben, nicht ausgerechnet auf mich gefallen wäre. So bin ich bereits den ganzen Tag mit einem Glas Honig in der Hand durch die Stadt, den Europarat und das Europaparlament gepilgert, habe mir jede Menge komische Blicke an der Sicherheitsschleuse eingeholt und lebte unter der ständigen Angst, den hochheiligen Honig irgendwo zu vergessen oder fallen zu lassen.

Deswegen war ich wirklich froh, als ich den Honig endlich an den Präsidenten übergeben konnte, mit der salbungsvollen Botschaft der Grenzenlosigkeit im Gepäck und einem Dankeschön im Namen der ganzen Gruppe.

Damit war unser Termin beendet, und rückblickend können wir nur wirklich noch einmal Danke sagen, dass uns dieses Gespräch ermöglicht wurde. Es hat uns alle in unserem Willen und unserer Tatenkraft bestärkt, und gezeigt, wie viel man erreichen kann, wenn man es nur wirklich will.

Nachdem auch der Rest der Konzilgruppe das Gespräch mit dem Europaparlament-Abgeordneten Dr. Andreas Schwab beendet hat, stand für uns alle noch ein Besuch im Plenarsaal an, wo gerade eine Sitzung stattfand. Dabei ging es – wer hätte das gedacht- um Flüchtlingspolitik, genauer um den Schengenraum und einen gerechten Verteilungsschlüssel. Leider war das Fotografieren in dem wirklich beeindruckenden Plenarsaal für uns verboten. Die Diskussionen waren sehr intensiv und nahmen ab und dann auch schärfere Töne an. Auch nach meinem Praktikum im Bundestag im Herbst 2014, bei dem ich auch die Möglichkeit hatte, mehrere Plenarsitzungen zu besuchen, war es sehr spannend, diese Sitzung zu verfolgen, gerade weil die Diskussion eben sehr viel impulsiver und auch dringlicher war.

Trotzdem würde ich aber lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht das eine oder andere Mal ganz kurz die Augen zugemacht habe und mich weggeträumt habe. Schlaf war eindeutig nicht das, was ich während der Konzilszeit im Überfluss hatte, aber für mich waren diese zwei Tage einfach so wichtig und besonders, dass ich am liebsten keine Sekunde verpassen wollte. Schon dort im Plenarsaal kam in mir die Angst hoch, wie wohl der Abschluss sein würde, denn dieses Mal war er für immer- und daran denkt wohl niemand gerne.

Zum Glück gab es erst noch ein gemeinsames Abendessen in der Kantine des Europaparlamentes, und das schmeckte ein Mal mehr richtig gut (vor allem in Relation zu dem Mensaessen in Konstanz an unserem allerersten gemeinsamen Tag). Alle stöhnten glücklich auf bei dem Gedanken, dass sie zum letzten Mal neben mir sitzen und mit ansehen mussten, wie ich das Essen fotografiert habe 😀

Vor dem Aufbruch mussten wir natürlich noch das obligatorische Gruppenfoto vor den Fahnen machen. Als meine Cousine und ich letztes Jahr mit unserer Klasse hier gewesen sind, sind wir an genau der gleichen Stelle gestanden und haben in die Kamera gelacht. Was hätten wir wohl gedacht, wenn wir damals schon gewusst hätten, dass wir nur ein halbes Jahr später wieder hier sein würden, aber aus einem ganz anderen Grund und mit einer so besonderen Gruppe?

Processed with VSCO with t1 preset
Das sind wir- und das war wahrscheinlich das letzte Bild, auf dem wir in dieser Konstellation zusammen sind

Beim Verlassen des Europaparlaments wurden wir alle etwas wehmütig, aber das verflog wieder, sobald wir im Bus waren und der Busfahrer die nächste Ladung „Chästli Bier“ zu Tage förderte. Zu unserer aller Trauer kostete diesmal auch das Bier was, aber in Anbetracht dessen dass uns schon die ganze Reise übernommen wurde, konnten wir die 1,50 Euro pro Flasche gerade noch verschmerzen.

Übrigens ist es kein Gerücht, dass unser Bus zwischendurch auch mal gefühlt mitten auf der Straße anhielt. Alle so: was ist jetzt los, haben wir eine Panne?! Und der Busfahrer so: „Ich hole neue Chästli Bier!“ 😀

Die Busfahrt verging so viel zu schnell, ich hatte wirklich das Gefühl, die Zeit würde nur so dahin rasen. An die ursprüngliche Sitzordnung vom Vortag hat sich niemand mehr gehalten. Wir haben über unsere ganz eigenen Insider gelacht, die Ereignisse der vergangenen Tage geredet, Handynummern ausgetauscht und noch ein letztes Mal so richtig unsere verschiedenen Dialekte verarscht.

Zum krönenden Abschluss bekam jeder der Betreuer noch ein Glas des gelobten Schweizer Honig und wir alle bedankten uns bei unserem Reiseleiter, ohne den diese Studienfahrt niemals möglich gewesen wäre.

An dieser Stelle wirklich noch einmal einen ganz herzlichen Dank an Florian Schmid, es ist zwar unwahrscheinlich, dass sie das hier lesen, aber falls doch: DANKE!

Leider waren wir (die Sigmaringer-Gruppe), die ersten, die aussteigen mussten. Der Bus legte an der Tankstelle eine Pause ein, sodass alle anderen auch aussteigen konnten. Es war wirklich eine sehr sehr traurige Verabschiedung mit unzähligen Umarmungen, Wünschen für die Zukunft und super sexy Selfies:

Selfie

Ich kann euch nicht sagen, ob ich diese Menschen jemals wiedersehen werde, oder ob es jemals ein Europakonzil 3.0 geben wird, aber ich kann euch sagen dass sie mir alle fehlen wie blöd, und dass ich mir nichts mehr wünschen würde. Mag sein dass sich unsere Wege genau so schnell wieder auseinander bewegen werden, wie sie zusammengefunden haben. Wir sind Jugendliche mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten, Dialekten, Parteien, Meinungen, Ansichten, Zielen und Erfahrungen. Aber wir sind alle Jugendliche, die sich entschieden haben, etwas zu tun, die nicht abwarten wollen, bis alles vorbei und hoffnungslos ist. Wir wollen und werden uns einbringen, auf welchem Weg auch immer, und das ist es, was uns ewig verbinden wird: Tatkraft, Energie, und die Zuversicht, etwas tun und verändern zu können.

Das Europakonzil – egal ob in Meckenbeuren, Konstanz, Sasbachswalden oder Straßburg- wird mir immer in positiver Erinnerung bleiben und ganz bestimmt ein Highlight meiner Jugend bleiben.

Danke noch einmal an alle die das möglich gemacht haben, von der Internationalen Bodenseekonferenz über die Betreuer in den einzelnen Kreisen, bis hin zu ERASMUS, das uns die Reisen finanziert hat.

Ich glaube daran, dass jede Krise auch eine Chance ist, und dass wir – wenn wir alles dafür tun- aus dieser Krise herausfinden werden!

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.